Ulrich Meyer-Husmann: da waren trümmer nicht noch scherben

Zur Ausstellung von Jörg Ahrnt im Bellevue-Saal
Wiesbaden 2018

 

da waren trümmer nicht noch scherben
Ulrich Meyer-Husmann

Die Ausstellung ist klar strukturiert. An der Längswand die farbigen Tuschebilder von Jörg Ahrnt und an der Rückwand und auf den beiden flachen Sockeln in der Mitte des Raumes Keramikscherben und ein altes Gefäß aus dem Iran. Ergänzt werden die beiden parallelen Stränge vorn an der Wand durch ein Pult mit dem auf geschlagenen Gedichtband von Stefan George, aus dem die titelgebende Zeile stammt. Diese verklammert das Gegenüber von Malerei und Keramik, das auf Jörg Ahrnt als Künstler und Sammler verweist.

Keramik gilt als früheste kulturelle Äußerung des sesshaft gewordenen Menschen. Antike und mittelalterliche Scherben – wie diese hier aus dem alten Persien – sind für die archäologische Forschung wichtig für zeitliche Einordnungen, historisches Interesse überwiegt. Das ist hier anders. Ein Künstler hat die Scherben angeordnet nach seinen Vorstellungen oder Ordnungssystemen und auf Grund der Anordnung fängt man an zu vergleichen, denn die Scherben sind verschieden nach Form, Farbe und Material.

Auf dem großen Sockel sind sie locker gelegt, einem archäologischen Grabungsfeld nicht unähnlich. Erdfarben herrschen vor, manche Scherben sind glasiert. Einige verraten noch durch ihre Krümmung etwas von der Form des Gefäßes, von dem sie stammen. Insgesamt sind es Reste einfacher Gebrauchskeramik. Die vorherrschenden Farben Braun, Grau und auch Schwarz unterstreichen das.

Die Rückwand zeigt in lockerer Setzung eine Installation aus glasierten farbigen Scherben. Zum Teil sind sie sehr dünn und verweisen damit und durch die Art ihrer Bemalung auf eine ganz andere Klientel. Die Farben sind von einer faszinierenden Frische. Der besondere metallische Glanz der transparenten Lüster-Glasur verstärkt das. Alle Scherben tragen Reste von Ornamentik, Vögel, skripturale Elemente sind darunter, auch ein kleiner Kopf.

Ornament ist ein Schlüsselbegriff dieser Ausstellung. Ornament ist nicht nur eine Verzierung schlechthin, sondern eine Grundform des künstlerischen Ausdrucks des Menschen. Dabei bevorzugt die islamische Kunst eine flächenschmückende Ornamentik auf den Wänden der Bauten, in der Buchmalerei und auf der Wand der Gefäße. Meist ordnet sich das Ornament der Struktur des Gegenstandes unter. Das gilt auch hier bei dem solitär gestellten Gefäß. Der obere Rand begleitet mit einem Kranz runder Formen die große Öffnung des Gefäßes, innen und außen in leichter Variation. Auf dem inneren Boden schreiten drei große Vögel das Rund ab, die Flügel blattähnlich aufgestellt. Alle Flächen sind mit unterschiedlich großen Punkten geschmückt. Wiederholung, Reihung und Symmetrie als vorherrschende Elemente der ornamentalen Komposition sind auch an diesem Gefäß zu finden.

Man kann die Faszination von Jörg Ahrnt an solchen farbigen Gefäßen und deren differenzierte Zeichnung verstehen, an der ihn insbesondere die bewegte Spur des Pinsels beeindruckt. Hinzu kommt ein ausgesprochenes Interesse an Details und an ornamentalen Strukturen. Ein Blick hinüber zu den Tuschebildern zeigt die feine Korrespondenz zwischen den mittelalterlichen Scherben und den Tuschebildern.

Sieben Tuschebilder auf Papier, alle in der gleichen Größe 170 x 105 cm und im gleichen Abstand auf der Längswand schaffen einen ruhigen Gesamteindruck. Die Wirkung des Einzelblattes wird nicht beeinträchtigt und die Gruppe lässt den Vergleich zu.

Der eigenartige Titel da waren trümmer nicht noch scherben scheint in Bezug auf die Ausstellung zunächst widersinnig. Liest man das Gedicht von Stefan George genauer, wird deutlich, dass trümmer, scherben die Vergangenheit charakterisieren. Ein neuer Seinszustand wird vom Dichter beschworen. Und wenn es im Gedicht heißt ‚im purperlicht der Zauberei‘ oder ‚ein öffnen neuer duftiger räume‘, passt das wunderbar auf die Bilder von Jörg Ahrnt.

‚Der siebente Ring‘, veröffentlicht im Jahr 1907, führt schon im Titel die symbolische Bedeutung der Zahl 7 an. Sieben Bilder hängen an der Wand. In sieben Gedichtzyklen wird ein Mythos gefeiert, ein siebenstufiger Aufbau der Welt einer erhofften neuen Ganzheit im Gegensatz zum Chaos aus Trümmern und Scherben, die die dunklen Mächte der Vergangenheit verkörpern. Allerdings taugte dieser angestrebte geistige Zusammenhalt einer elitären Männergruppe mit homoerotischem Anstrich nicht als Modell einer zukünftigen Gesellschaft. Das nur am Rande.

Scherben, Bilder, Gefäß und Gedicht berühren etwas tief Existenzielles. In der persischen Kultur wurde die Entstehung eines Gefäßes aus einem Klumpen Ton, der Übergang vom Ungeformten in den Zustand des Geformten als Bild des Werdenden angesehen und die Öffnung des Gefäßes als ein Sich-Öffnen dem Unbekannten/Numinosen gegenüber. In der Ausstellung treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander, Aufstieg von Kulturen und ihr Untergang, der Glanz der Kunst und ihre Vergänglichkeit, die Adaption von Vergangenem, dessen Wertschätzung und Würdigung, aber auch die – zum Teil mutwillige – Zerstörung und ihr Verlust.

Trümmer, Scherben und die Bilder geben aber auch eine Vorstellung davon, welche Schönheit und Kraft in der Kunst liegen kann. So ist diese Ausstellung eine große Erzählung von Vergänglichkeit und Glück.